Ein Aufruf an die Bundesbehörden
di Andrea Leoni
Schamesröte soll es Ihnen ins Gesicht treiben, Frau Präsidentin der Eidgenossenschaft Sommaruga, dass Sie uns aufgefordert haben, uns «einen Ruck zu geben», als das Tessin schon Alarmstufe Rot gab und Sie absolut gleichgültig reagierten. Auch Sie, Herr Bundesrat Berset, sollten schamrot werden, darüber, dass Sie am 25 Februar in Rom noch dahergeredet haben, dass «Epidemien vor Grenzen nicht halt machten, und wer das Gegenteil behaupte, erzähle Unsinn» und nun erst, als die Ochsen schon aus dem Stall waren, schlossen alle europäischen Länder die Grenzen. Schamrot sollen alle diejenigen werden, die der Tessiner Regierung Fiebermessungen an der Grenze untersagt haben.
Schämt Euch alle, die Ihr in Bern über unseren Regierungsrat Raffaele de Rosa gelacht habt, als dieser, angesichts der ersten Seuchenherde in der Lombardei zu Grenzkontrollen aufrief, und ausserdem dazu, sich bewusst zu werden, dass wir auf ein Drama zusteuerten.
Auch Sie, Herr Bundesrat Ignazio Cassis, sollten sich schämen und darüber nachdenken, dass Sie in Stillschweigen verharrten, als die Eidgenossenschaft unseren Kanton und seine Bürgerinnen und Bürger scheinbar als Versuchskaninchen der Schweiz benützte Und uns als die 13. Provinz der Lombardei fühlen liess.
Der Gesamtbundesrat sollte sich schämen, dass er unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger aus der deutschen und der französischen Schweiz nicht rechtzeitig alarmierte und so ermöglichte, dass noch am letzten Wochenende viele unter Umgehung der Gefahr Strassen und Plätze, Bars und Restaurants füllten und somit im ganzen Land dem Virus Tür und Tor öffneten.
Wohlgemerkt geschah dieser Massenkontakt zur selben Zeit, als Professor Adriano Aguzzi, Direktor des Instituts für Neuropathologie an der Universität Zürich einen verzweifelten Appell auf Youtube lancierte, und die Schweizerinnen und Schweizer aufrief: «Bleibt zuhause»!
Bereits am vorhergehenden Donnerstag hatte er zusammen mit 25 anderen Schweizer Forschern die Regierung dazu aufgerufen, drastische Massnahmen zu ergreifen, um die Epidemie zu stoppen.
Nicht einmal diesen Experten habt ihr zugehört.
Es waren die Kantone, sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte , die euch erstmal in die Ecke drängen mussten, Euch das Misstrauen signalisieren mussten und sich dann einer nach dem anderen entschieden hat, dem Kanton Tessin zu folgen und Euch dazu verpflichtete, Verantwortung zu übernehmen. Und der Gesundheit der Menschen Vorrang zu geben, vor dem Gott Geld.
Aber mehr noch als alle anderen sollte sich Daniel Koch schämen. Der Daniel Koch, der noch am 12. März ins Tessin reiste, um die Regierung davon zu überzeugen, die Schulen nicht zu schliessen, obwohl alle Tessiner Fachleute das Gegenteil bewiesen. Derselbe Daniel Koch, der nur 48 Stunden später den Bundesrat begleitete, als dieser ankündigte, dass alle Schulen im Land geschlossen würden, aber der noch immer unverantwortlicherweise soziale Einschränkungen im Land hinausgeschoben hat. Ein neuerlicher Riesenfehler, dergestalt, dass Professor Aguzzi in einem Interview seinen Zorn nicht zurückhalten konnte: “Was der Bundesrat entschieden hat, ist völlig absurd. Mit diesen minimalen Einschränkungen beweisen sie nur, dass sie den Ernst der Lage nicht verstanden haben. Man müsste mindestens so streng vorgehen, wie in Italien.Wer hört denn der Schweizer Regierung noch zu? Ich habe den Eindruck, dass dieses Land völlig führungslos ist. Das wird wesentlich mehr Leben kosten, die man aber mit stärker einschränkenden Massnahmen hätte verhindern können.”
Schämen Sie sich, Herr Koch! Schämen Sie sich für Ihre Erklärungen im „Blick“ vom vergangenen Wochenende, dem Wochenende, als als der Bundesrat beschloss, dass Leben im Land anzuhalten. Als Sie sich tatsächlich noch trauten zu sagen, dass sie rechtzeitig gehandelt hätten. Als Sie schamlos bekräftigten „dass niemand vorhergesagt hätte, wie schnell und dramatisch sich die Situation in Italien entwickeln würde.“ Es war klar und deutlich, mehr noch: kristallklar, seit mindestens 14 Tagen im Süden der Schweiz und schon lange vorher, wenn man die Lage in China, Japan oder Südkorea beobachtete.
Man hätte nur mal die Tessiner Ärzte fragen müssen, die mit ihren Kassandrarufen versuchten, uns und Euch aufzuwecken.
Schämen Sie sich, Herr Koch, dass Sie die Lage nie unter Kontrolle hatten, obschon genau das ihre Aufgabe als Chef des Bundesamts für Gesundheit wäre.
Zum Vorschein kam das erneut in geradezu grotesker Weise, als Sie – auf Anfrage eines Journalisten – nicht einmal in der Lage waren, waren die Anzahl der Infizierten in der Schweiz zu nennen, da „die Zunahme in den letzten Tagen so stark war, dass wir nicht mehr präzis sein können“. Und dies trotz der vielbesungenen schweizerischen Effizienz!
Es ist auch Ihre Schuld, wenn es im Tessin, wie bereits in den Medien angekündigt, keine Betten auf den Intensivstationen mehr geben wird. Dafür habt Ihr keine Entschuldigungen. Der Brand in der Lombardei fand bereits vor unserem Haus statt, und Ihr habt ihn hereingelassen, wo er sich schnell ausbreitete. Ihr habt gelacht, ihr habt Augen und Ohren verschlossen und bis zum Äussersten die Lage unterschätzt. Einen grossen Zeitvorteil habt Ihr einfach in den Wind geschlagen Und mit diesem ruchlosen Verhalten habt Ihr meinen Kanton in einen Schützengraben verwandelt, in dem pro 1000 Einwohner weit mehr als zwei Menschen am Virus erkrankte und bereits 22 Tote zu beklagen sind.
Sicher – es ist nicht nur allein Eure Schuld. Auch im Tessin wurden schwere Fehler begangen. Aber seien Sie beruhigt: Wenn all das hier einmal vorüber sein wird, werden wir Bilanz ziehen und die Verantwortlichkeiten klären. Aber nicht jetzt. Jetzt verteidigen wir gemeinsam diesen Schützengraben und mit ihm das ganze Land, von dessen Behörden sich viele verraten fühlen. Und unsere Wut und Empörung über das, was Ihr uns angetan habt, wird uns helfen, bis zum Äussersten Widerstand zu leisten!
Wir wünschen uns von ganzem Herzen, dass wegen Eurer Nachlässigkeit, wegen Eurer Mutlosigkeit, wegen Eurer mangelnden Vorbereitung unsere Landsleute nicht so sehr leiden müssen, wie wir jetzt leiden.
Nur noch eine letzte Sache: Von jetzt an gebt uns alles was wir brauchen und lasst uns tun, was wir für richtig halten. Lasst zu, dass die Tessiner Ärzte und Spezialisten die Strategie für unseren Kanton festlegen. Sie, Herr Koch, haben gesagt, dass es keine Massentests brauche, so wie in Korea, dem Veneto oder der Toscana, die mit dieser Methode versuchen, die symptomfreien Angesteckten zu erfassen, um sie zu isolieren und neue Ansteckungen zu vermeiden. Erneut wenden Sie sich damit gegen die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO, die an alle Länder apelliert: Testen Sie, testen Sie, testen Sie! „Man kann nicht mit verbundenen Augen ein Feuer löschen. Und wir können diese Pandemie nicht stoppen, wenn wir nicht wissen, wer infiziert ist“ erklärte WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Schon allein die Tatsache , dass Sie, Herr Koch, anderer Meinung sind, ist ein Motiv mehr, um diesen Weg so schnell als möglich einzuschlagen.
Veröffentlicht von Liberatv am 18.03.20 - Der italienische Text hat Vorrang (Klicken Sie hier, um es zu lesen)